Article
Stellenwert von Johanniskraut-Extrakt in der Depressionstherapie – eine nicht-interventionelle Studie in Hausarztpraxen
Search Medline for
Authors
Published: | September 14, 2011 |
---|
Outline
Text
Hintergrund: Patienten mit Depression werden in vielen Fällen vom Hausarzt betreut, häufig mit Johanniskraut. In einer einarmigen, nicht-interventionellen Studie wurde die Anwendung von Johanniskrautextrakt WS® 5570 1x600 mg/Tag (Neuroplant®) im hausärztlichen Praxisalltag untersucht. Es wurden sowohl Sichtweisen der Patienten als auch der Ärzte erhoben.
Material und Methoden: Eingeschlossen wurden Patienten mit leichter bis mittelschwerer Depression, die seit mindestens 2 und längstens 6 Wochen bestand. Zur Schweregradbeurteilung wurde die Hamilton-Depressionsskala (HAMD) eingesetzt. In Anlehnung an internationale Studien wurde eine Verbesserung des HAMD-Gesamtscores um 50% als Therapieerfolg, ein Score <8 als Remission gewertet. Zur Abschätzung der Anwendungssicherheit wurden unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) erfasst. Die Beobachtungsdauer betrug 8–10 Wochen, dokumentiert wurden bis zu 3 Kontrollbesuche (nach 2, 4–6 und 8–10 Wochen). Erfahrungen und Einstellungen der Ärzte zur Depressionstherapie und Komplementärmedizin wurden anhand eines Fragenkatalogs erfasst.
Ergebnisse: 408 Allgemeinmediziner dokumentierten 1.300 Patienten (69% Frauen) mit leichter oder mittelschwerer Depression. Von diesen erfüllten 493 Patienten nicht alle Einschlusskriterien (z.B. Episodendauer zu lang/kurz n=344, Dokumentationszeitraum <8 Wochen n=87). Bei 640 Patienten (79%) wurde ein Therapieerfolg, bei 552 (68%) eine Remission erreicht (HAMD <8). 7 Patienten berichteten 9 leichte bis mittelschwere UAWs, kein UAW war schwerwiegend. Die Ärzte bewerteten die Verträglichkeit in 98% der Fälle als sehr gut bis gut. Von 408 Ärzten lagen 202 auswertbare Arztfragebögen vor. Die Ärzte waren im Mittel seit 18 Jahren niedergelassen, 31% besaßen die Zusatzbezeichnung Naturheilverfahren. 85% schätzten das Vertrauen der Patienten in Komplementärmedizin hoch ein. Die Ärzte betrachteten Selbstheilung und Placebo-Effekte als wichtige Heilungsfaktoren, sprachen jedoch in 75% der Fälle dem Präparat mindestens die Hälfte der Therapiewirkung zu.
Schlussfolgerung/Implikation: Diese Studie zeigt eine hohe Ansprech- und Remissionsrate für die Therapie mit Johanniskrautextrakt WS® 5570 (1x600 mg/Tag) im hausärztlichen Setting. Kausale Schlussfolgerungen lassen sich aufgrund des Studiendesigns nicht ziehen, der Vergleich mit einer randomisierten kontrollierten klinischen Studie zeigt jedoch ein vergleichbares Ansprechen. Die überwiegende Zahl der behandelnden Ärzte schreiben dem Johanniskrautextrakt über die Hälfte des Behandlungserfolges zu, darüber hinausgehende Effekte sind ebenso bedeutsam. Der hohe Stellenwert von Johanniskraut-Extrakt in der hausärztlichen Depressionstherapie wird bestätigt. Das Projekt zeigt, dass Studien in Hausarztpraxen in Kooperation mit Pharmaunternehmen erfolgreich durchführbar sind und dabei hausärztlicherseits das Design mitbestimmt werden kann.
Literatur
- 1.
- Kasper S, Anghelescu I, Szegedi A, Dienel A, Kieser M. Superior efficacy of St. John's wort extract WS(R) 5570 compared to placebo in patients with major depression: a randomized, double-blind, placebo-controlled, multi-center trial. BMC Medicine. 2006;4:14-27.
- 2.
- Kasper S, Volz HP, Möller HJ, Dienel A, Kieser M. Continuation and long-term maintenance treatment with Hypericum extract WS® 5570 after recovery from an acute episode of moderate depression—A double-blind, randomized, placebo controlled long-term trial. Eur Neuropsychpharmacol. 2008;18:803-13.
- 3.
- Kirsch I, Sapirstein G. Listening to prozac but hearing placebo: a meta-analysis of antidepressant medication. Prevention & Treatment. 1998;1(2). DOI: 10.1037/1522-3736.1.1.12a
- 4.
- Linde K, Berner MM, Kriston L. St John's wort for major depression. Cochrane Database Syst Rev. 2008;4:CD000448
- 5.
- Musselmann B, Szecsenyi J, Joos S. Komplementärmedizin in der Praxis – der diagnostisch-therapeutische Prozess aus Sicht von Hausärzten (eine qualitative Studie). Forschende Komplementärmedizin. 2009;16(6):392-9