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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Inanspruchnahme von individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) bei Arthrose in Deutschland: Ergebnisse einer Befragung im Rahmen der PROCLAIR-Studie

Meeting Abstract

  • Hannes Jacobs - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Department für Versorgungsforschung, Ambulante Versorgungsforschung und Pharmakoepidemiologie, Oldenburg, Germany
  • Falk Hoffmann - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Department für Versorgungsforschung, Ambulante Versorgungsforschung und Pharmakoepidemiologie, Oldenburg, Germany
  • Johanna Callhoff - Deutsches Rheumaforschungszentrum, Programmbereich Epidemiologie, Berlin, Germany
  • Anne Postler - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, UniversitätsCentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Dresden, Germany
  • Angela Zink - Deutsches Rheumaforschungszentrum, Programmbereich Epidemiologie, Berlin, Germany
  • Klaus-Peter Günther - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, UniversitätsCentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Dresden, Germany
  • Jens Goronzy - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, UniversitätsCentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Dresden, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf235

doi: 10.3205/19dkvf235, urn:nbn:de:0183-19dkvf2358

Published: October 2, 2019

© 2019 Jacobs et al.
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Text

Hintergrund: Seit 1998 haben niedergelassene Ärzte in Deutschland die Möglichkeit, sogenannte Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) anzubieten, die jenseits der Kassenleistungen liegen. Darüber hinaus können Patienten Maßnahmen und Präparate außerhalb der Praxis (MuPaP) in Anspruch nehmen, z.B. eigenständiger Erwerb und Anwendung von Medikamenten oder Nahrungsergänzungsmitteln. Bis heute existieren jedoch nur wenige Daten zur Nutzung dieser Leistungen bei Arthrosepatienten, obwohl es eine Vielzahl möglicher Angebote gibt.

Fragestellung: Wie hoch ist die Inanspruchnahme arthrosespezifischer IGeL und MuPaP bei gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland und welche Prädiktoren gibt es für deren Nutzung?

Methode: Für diese Querschnittsstudie wurden aus Krankenkassenabrechnungsdaten alle Personen identifiziert, die 2013 und 2014 durchgängig versichert waren und 2014 in mindestens zwei Quartalen eine ambulante Hüft-, Knie- oder Polyarthrose aufwiesen (n=657.807). Einer nach Alter, Geschlecht und ICD-10-GM Diagnose stratifizierten Stichprobe (n=8.995) wurde ein Fragebogen über die Nutzung von selbst bezahlten Leistungen in den letzten 12 Monaten sowie zu krankheitsspezifischen und soziodemographischen Parametern, zugeschickt. Die Nutzung von IGeL und MuPaP und der ausführende bzw. empfehlende Arzt wurden deskriptiv ausgewertet. Zudem wurden die Kosten und die subjektive Wirkung der Leistungen analysiert. Anhand multivariabler logistischer Regression wurden Prädiktoren ermittelt, die mit einer Nutzung von IGeL, MuPaP oder diesen selbst bezahlten Leistungen insgesamt assoziiert sind.

Ergebnisse: Nach der Daten- und Diagnosevalidierung wurden 2.363 Personen eingeschlossen (Durchschnittsalter: 65,5 Jahre; 72% weiblich). 39% der Befragten nahmen in den letzten 12 Monaten mindestens eine IGeL in Anspruch (MuPaP: 76%), mit 86% vorrangig beim Orthopäden (MuPaP: 88% eigene Motivation). Ein Drittel der Arthrosepatienten berichtete mehr als 300€ für selbstbezahlte Leistungen investiert zu haben und etwa die Hälfte beobachtete eine Verbesserung der Beschwerden nach Inanspruchnahme. Das Vorliegen einer Kniearthrose war mit einer erhöhten Inanspruchnahme von IGeL assoziiert (Odds Ratio: Knie- vs. Hüftarthrose: 2,1; 95% Konfidenzintervall 1,6-3,0). Einfluss auf eine häufigere Nutzung von selbst bezahlten Leistungen insgesamt hatten weibliches Geschlecht, höheres Nettoäquivalenzeinkommen, Wohnregion West, höhere Krankheitslast und niedrigere allgemeine Zufriedenheit mit dem Gesundheitssystem.

Diskussion: IGeL sind typischerweise Maßnahmen, für deren Wirksamkeit und Unbedenklichkeit weniger umfangreiche Evidenz vorliegt als für Leistungen, die durch die gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Obwohl ein Vergleich zu früheren Studien der Allgemeinbevölkerung aufgrund extremer Heterogenität von IGeL und infolgedessen uneinheitlicher Definitionen schwierig ist, deuten die Ergebnisse auf eine häufigere Nutzung dieser Leistungen bei Arthrosepatienten hin, obgleich wir nicht sämtliche bei einer Arthrose möglichen selbst zu zahlenden Leistungen abgefragt haben.

Praktische Implikationen: Vor allem Patienten mit erhöhtem Leidensdruck nehmen selbst bezahlte Leistungen in Anspruch. Aufgrund der Vielzahl der Leistungen mit unterschiedlichem Behandlungserfolg sollte eine ausführliche Aufklärung von Ärzten und Apothekern, speziell zu Risiken und zur vorhandenen Evidenz, stattfinden.