Article
Evaluation der Wirksamkeit multimodaler Therapie für Rückenschmerzpatienten – ein neuer Algorithmus für Daten zur Arbeitsunfähigkeit
Search Medline for
Authors
Published: | October 12, 2018 |
---|
Outline
Text
Hintergrund: Versicherte der AOK Nordost mit Arbeitsunfähigkeit (AU) aufgrund von Rückenschmerzen erhielten im Rahmen eines Selektivvertrags zur Integrierten Versorgung nach §140a-d SGB V in fünf Rückenzentren nach therapiebegründendem Assessment regelhaft 20 Werktage MultiModale SchmerzTherapie (MMST). In Kooperation mit dem CLARA Institut für klinische Forschung evaluierte die AOK Nordost die Wirksamkeit der Intervention MMST vor allem für Arbeitsunfähigkeit und teilnehmerberichtete Schmerzintensität.
Retrospektive Beobachtungsstudien unter Verwendung von GKV-Daten zur sachgerecht vergleichenden Bewertung einer Intervention bergen Herausforderungen zur Vermeidung von Verzerrungen zumindest für bekannte und datenverfügbare Störgrößen [1]. Das gilt besonders für die Identifikation einer geeigneten Vergleichsgruppe bei der Nutzung von AU-Daten [2]. AU-Daten sind nur für einen eingeschränkten Personenkreis verfügbar und nur in bestimmten Zeiträumen [3]. Eine detaillierte Längsschnittanalyse von AU-Daten erfordert einen Abgleich geeigneter AU-Zeiträume zwischen Interventionsgruppe und Kontrollgruppe.
Fragestellung und Ziele:
- 1.
- Veranschaulichung der Methode der Evaluation eines Selektivvertrags, insbesondere der Vergleichsgruppenbildung mit GKV-Daten unter besonderer Berücksichtigung der Besonderheiten von AU Daten
- 2.
- Veranschaulichung eines Algorithmus für AU-Daten, zur Identifikation eines geeigneten vergleichbaren zeitlichen Interventionsbeginns für potenzielle Vergleichspersonen
- 3.
- Ableitung und Diskussion eines detaillierten Evaluationsergebnisses zur Wirksamkeit
Methoden: Für 86 Programmteilnehmer mit > 14 Tagen MMST in den Jahren 2013 bis 2015 und verfügbaren Verlaufsdaten identifizierten wir aus GKV-Daten und AU-Fällen der AOK-Nordost 86 geeignete Vergleichspatienten mit 1:1-Ziehung unter Berücksichtigung gleicher rückenschmerzbezogener Arbeitsunfähigkeitsverläufe und Krankheitshistorien auf der relativen Zeitachse. Falls mehrere geeignete Vergleichspersonen vorlagen, zogen wir im zweiten Schritt den nächsten Nachbarn gemäß Propensity Score für eine erweiterte Merkmalsliste maßgeblich rückenschmerzbezogener Merkmale. Für 365 Tage ab Assessmenttag (Programmteilnehmer) oder ab einem vergleichbar bestimmten geeigneten Start-punkt der Beobachtung (Vergleichspersonen) im initialen AU-Fall analysierten wir Leistungsinanspruchnahme ausschließlich mit Bezug zu Rückenschmerz(diagnosen). Mit einem Algorithmus für „AU-Stadien“ bestimmten wir einen geeigneten Startpunkt der Beobachtung für die Vergleichspersonen. Weiterhin erfolgte eine Programmteilnehmerbefragung am Assessmenttag und 183-365 Tage danach. Für 56 der Patienten mit MMST lag eine Folgebefragung vor.
Ergebnisse: Vor Beginn der MMST (oder der üblichen Vergleichsbehandlung) waren Patienten mit MMST (Vergleichspatienten) im anfänglichen AU-Fall mit Rückenschmerzen im Durchschnitt 54,2 (55,5) und im Median 45 (45) Tage gleich lang arbeitsunfähig. Nach Beginn von MMST hatten Patienten im anfänglichen AU-Fall im Durchschnitt 44,3 und im Median 12 Tage weniger rückenschmerzbezogene Arbeitsunfähigkeit, signifikant (p < 0.05) weniger AU-Tage in 365 Tagen Nachbeobachtung, sowie signifikant weniger häufig eine Langzeit-AU >90 Tage. Patienten mit MMST hatten weniger rückenschmerzbezogene Krankenhausaufenthalte, häufiger überhaupt keine rückenschmerzbezogene Inanspruchnahme mehr, sowie durchschnittlich eine signifikante Verringerung von Schmerzintensität, schmerzbedingter Beeinträchtigung und Schmerzschweregrad.
Diskussion: Restriktionen von AU-Daten erfordern eine datenbedingte Patientenselektion zur Herstellung einer „technischen“ Populationsvergleichbarkeit. Mit einem erweiterten Algorithmus für AU-Stadien kann hinreichende Vergleichbarkeit hergestellt werden für eine belastbarere Evaluation der Wirksamkeit eines Selektivvertrags.
Praktische Implikationen: Dieser Algorithmus kann auch auf weitere Fragestellungen längsschnittlicher Vergleichsgruppenbildung übertragen werden.
Literatur
- 1.
- Swart E, Bitzer EM, Gothe H, Harling M, Hoffmann F, Horenkamp-Sonntag D, Maier B, March S, Petzold T, Röhrig R, Rommel A, Schink T, Wagner C, Wobbe S, Schmitt J. Standardisierte Berichts-Routine für SekundärdatenAnalysen (STROSA) – ein konsentierter Berichtsstandard für Deutschland, Version 2. Das Gesundheitswesen. 2016;78(S 01):e161-e161. DOI: 10.1055/s-0042-108647
- 2.
- Grobe T, Steinmann S. Gesundheitsreport 2016 der Techniker Krankenkasse mit Daten und Fakten zu Arbeitsunfähigkeit und Arzneiverordnungen – Schwerpunktthema Gesundheit zwischen Beruf und Familie. Hamburg: Techniker Krankenkasse; 2016 [letzter Zugriff 26.03.2018]. Verfügbar unter: https://www.tk.de/resource/blob/2026660/e1637a4ff3f2bb3e5512cdf0f8137083/gesundheitsreport-2016-data.pdf
- 3.
- Wagner C. Die Population unter Risiko bei Prävalenz- und Inzidenzschätzungen – Nennerkonzepte. In: Swart E, Ihle P, Gothe H, Matusiewicz D, Hrsg. Routinedaten im Gesundheitswesen: Handbuch Sekundärdatenanalyse. Bern: Hans Huber; 2014. S. 424-32.