Article
Schmerzen nach Polytrauma: Zu oft, zu stark - aber wie messen?
Search Medline for
Authors
Published: | October 18, 2011 |
---|
Outline
Text
Fragestellung: Über die Schmerzen schwer mehrfachverletzter Patienten im Langzeitverlauf nach dem Unfallereignis ist nur wenig bekannt. Wir untersuchten den Schmerzstatus von Überlebenden mind. 2 Jahre nach Polytrauma sowie potentiell erklärende Faktoren in diesem Zusammenhang.
Methodik: Konsekutive Serie polytraumatisierter Patienten (injury severity score, ISS>16) eines Zentrumkrankenhauses, welche mittels unterschiedlicher Scores (Euro Quality of Life Group health-related quality of life, EQ-5D; medical outcomes study Short Form, SF-36; Musculoskeletal Functional Assessment, MFA; Trauma Outcome Profile, TOP) nach ihren Schmerzen befragt wurde. Der Einfluss soziodemographischer, unfall- und behandlungsabhängiger Faktoren auf die Häufigkeit und Intensität angegebener Schmerzen sowie die Korrelation mit anderen funktionellen Outcome- bzw. Lebensqualitäts- Parametern wurden uni- und multivariat getestet.
Ergebnisse und Schlussfolgerungen: Von 178 Überlebenden zum Zeitpunkt der Nachkontrolle (Median 2,4 Jahre nach Unfall) antworteten 102 Patienten (57%; 39,7 +/-20,5 Jahre; ISS 27,1 +/-8,0). 54% der Verletzten waren zum Zeitpunkt der Nachkontrolle voll rehabilitiert (GOS Maximum), aber 59% hatten eine Verminderung der Arbeitsfähigkeit erlitten. Je nach Score berichteten 8-44% der Antwortenden retrospektiv für den Zeitraum vor dem Unfallereignis und 46-85% zum Zeitpunkt der Nachkontrolle über Schmerzen (Unterschied Prävalenz je p< 0,001). Auch der Schweregrad der angegebenen Schmerzen variierte erheblich zw. den einzelnen Erfassungsarten, wobei in allen Scores sign. stärkere Schmerzangaben posttraumatisch im Vergleich zu vor dem Unfallereignis (p< 0,001) beobachtet wurden. Es fanden sich nur schwache Korrelationen zw. prä- und posttraumatischem Schmerzstatus (r=0,1-0,4). Die lineare Regressionsanalyse zeigte im TOP eine signifikant höhere Schmerzstärke bei höherem BMI (p=0,038) und niedrigerer Berufsausbildung (blue collar; p=0,008), sowie ein signifikant häufigeres Auftreten im Falle eines Schädelhirntraumas (p=0,038) oder eines höheren TRISS (p=0,006). Der TOP erwies sich als das sensitivste Schmerzerfassungsinstrument und zeigte die höchste Korrelation mit objektiven Langzeit-Outcome- Erfassungsparametern, z.B. Minderung der Arbeitsfähigkeit (r=0,5). Der Langzeit- Schmerzstatus polytraumatisierter Patienten korrelierte besser mit den Lebensqualitätsscores EQ-5D oder dem SF-36 (r= 0.6-0.8) als mit Arbeitsfähigkeit oder Einkommen nach Unfall (r= 0.4-0.5).
Unsere Untersuchung liess eine hohe Schmerzinzidenz im Langzeit- Follow-up nach Polytrauma erkennen. Allerdings sind die Ergebnisse in hohem Ausmaß abhängig von der Art und Sensitivität der benutzten Scores. Aufgrund der hohen klinischen Relevanz von Schmerzen sind weiterführende Untersuchungen aus epidemiologischer wie therapeutischer Sicht dringend gefordert.