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Nachweis von komplexen Instabilitäten nach Applikation eines anterioren Anpralltraumas am Beckenring
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Published: | October 15, 2009 |
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Fragestellung: Das Vorhandensein und die Richtung der Instabilität einer Beckenfraktur steht im Mittelpunkt der von Tile 1984 eingeführten und von der AO weitgehend übernommenen Klassifikation der Beckenfrakturen in A-, B- und C-Frakturen. Anhand dieser funktionellen Betrachtung leitet sich die Indikation zur konservativen oder operativen Therapie ab und erfolgt die Wahl des Osteosyntheseverfahrens. An anatomischen Humanpräparaten erfolgte nach maschineller Frakturierung eine Überprüfung der vorliegenden Instabilitäten mittels anatomischen, radiologischen und biomechanischen Untersuchungen.
Methodik: Es wurden zwei humane, alkoholkonservierte Beckenpräparate aus Körperspendern verwendet. Der pelvine Bandapparat, die parapelvine Muskulatur sowie eine kutane Verschiebeschicht wurden bei der Präparation belassen. Als Unfallmechanismus wurde nach zuvor erfolgter Durchtrennung der Symphyse ein anteriores Anpralltrauma simuliert. Die Becken wurden dazu in eine Materialprüfmaschine eingebracht und in einem speziell vorbereiteten Rahmen fixiert. Bei der Testung wurden sowohl die applizierte Kraft als auch der zurückgelegte Weg gemessen. Die Becken wurden jeweils vor und nach der Frakturierung auf axiale Rotationssteifigkeit und auf Steifigkeit in vertikaler Richtung in einer Materialprüfmaschine untersucht. Mittels HR-CT erfolgte die Dokumentation des erzeugten ossiären Verletzungsausmaßes. Eine abschließende anatomische Korrelation erhob den Gesamtverletzungsumfang.
Ergebnisse und Schlussfolgerungen: Beim männlichen Becken kam es nach einer anterioren Krafteinleitung von 135 N und einer Eindringtiefe von 4 cm zu einem ligamentären Versagen im hinteren Beckenring. Anatomisch wurden eine komplette Zerreißung des ventralen sakroiliacalen sowie eine partielle Zerreißung des mittleren interossiären sacroiliacalen Bandapparates nachgewiesen. Ossiär konnte ein kleiner, knöcherner, anteriorer Ausriss der linken IS-Fuge dokumentiert werden, welcher sich auch im CT darstellte. Verletzungen der sacrotuberalen, der sacrospinalen oder der iliolumbalen Bänder konnten nicht nachgewiesen werden. In der biomechanischen Testung zeigte sich beim männlichen Becken ein Steifigkeitsverlust von 74% in axialer Rotation und von 37% in vertikaler Scherung. Dies entspricht einer komplexen Instabilität vergleichbar mit einer C-Fraktur. Bei dem weiblichen Becken kam es zum knöchernen Versagen im vorderen Beckenring. Radiologisch wurde eine bilaterale obere und untere Schambeinastfraktur festgestellt. Mit 15% axialem und 24% vertikalem Steifigkeitsverlust konnte hier eine erhebliche biomechanische Instabilität gezeigt werden.
Die Untersuchungen weisen darauf hin, dass klinisch-radiologische B-Verletzungen biomechanische und anatomische Instabilitäten einer C-Verletzung aufweisen können. Inwiefern sich daraus therapeutisch die Notwendigkeit einer zusätzlichen dorsalen Stabilisierung ableitet, müssen die klinischen Studien zeigen, die sich den experimentellen Beobachtungen anschließen werden.