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Unfallchirurgische Gewaltopferversorgung am Beispiel der Verbundversorgung im Rahmen eines universitären Netzwerkes
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Published: | October 16, 2008 |
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Fragestellung: Die Behandlung von Menschen, die Opfer von Gewalt geworden sind, stellt eine besondere Herausforderung dar. Neben der medizinischen Diagnostik und Therapie gilt es, diese Patienten in ihrer Situation als Gewaltopfer zu erkennen, die Folgen der Gewalt gerichtsfest zu dokumentieren und weitere Hilfeangebote zu unterbreiten; dies sollte möglichst zeitnah erfolgen. Da regional i.d.R. ein differenziertes Hilfeangebot (Beratungsstellen) vorhanden ist, bedarf es i.W. einer Vernetzung dieser Strukturen mit dem Gesundheitswesen und einer Sensibilisierung der Ärzteschaft. Gewaltopfer werden oft primär in einer unfallchirurgischen Ambulanz vorstellig, somit handelt es sich bei der Optimierung der Gewaltopferversorgung um ein relevantes unfallchirurgisches Thema, dem bisher nur wenig Beachtung zufiel. Ziel dieser Studie war die Überprüfung der Notwendigkeit einer interdisziplinären Verbundversorgung zur gezielten Betreuung von Gewaltopfern.
Methodik: Unter Verwendung eines einheitlichen Datenblattes erfolgte für das Jahr 2004 eine retrospektive Aktenanalyse aller ambulanten und stationären Patienten unserer Klinik im Hinblick auf das Vorliegen eines Gewaltkontextes. Alle so definierten Fälle wurden erfasst und die Daten deskriptiv nach den Stichworten Alter, Geschlecht, Fakten zur Gewalttat, Gewaltfolgen, Art und Umfang der Befunddokumentation sowie Veranlassung weiterer Maßnahmen ausgewertet. Hierbei wurde zwischen Gewalt im persönlichen Nahraum („Häusliche Gewalt“) und der Gewalt im öffentlichen Raum differenziert.
Ergebnisse: Es wurden die Akten von 7148 Patienten (6201 ambulant ; 947 stationär) ausgewertet. Insgesamt konnten 349 Gewaltopfer ermittelt werden (157 Gewalt im öffentlichen Raum, 59 Opfer interpersoneller Gewalt, 133 unklare Fälle). Dies entspricht einem Anteil von 4,9 % aller Behandelten. Der Altersdurchschnitt der Gewaltopfer betrug 30,5 Jahre, das Geschlechterverhältnis lag bei fast 3:1 (F:M). Auffällig war in vielen Fällen die lückenhafte Anamnese und Dokumentation. Eine Vorstellung in einem rechtsmedizinischen Institut oder eine Weiterleitung in Beratungsstellen erfolgte nur in vereinzelten Fällen bzw. gar nicht.
Schlussfolgerung: Es fand sich eine hohe Präsenz von Gewaltopfern im Rahmen der unfallchirurgischen Versorgung. Mit Blick auf die festgestellten Lücken in der Betreuung und Unterversorgung dieser Patienten besteht die Notwendigkeit einer ärztlichen Schulung und interdisziplinären Versorgung von Gewaltopfern. Zur Verbesserung der Versorgung wurde 2007 am hiesigen Klinikum eine Gewaltopferambulanz implementiert, die in einer Arbeitsgruppe aus Unfallchirurgie, Pädiatrie, Gynäkologie, Psychiatrie, Psychosomatik und Rechtsmedizin betreut wird. Ziele sind die Verbesserung der Befunddokumentation, die interdisziplinäre Versorgung der Gewaltopferpatienten und eine vereinfachte Weiterleitung in die rechtsmedizinische Fachbegutachtung. Das neue Konzept wird wissenschaftlich begleitet.