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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Buchbesprechung: Medizin zwischen exakter Naturwissenschaft und humaner Verpflichtung

Buchbesprechung Humanmedizin

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GMS Z Med Ausbild 2005;22(1):Doc03

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Received: July 15, 2004
Published: January 28, 2005

© 2005 Rimpau.
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Bibliographische Angaben

Gerald Ulrich

Medizin zwischen exakter Naturwissenschaft und humaner Verpflichtung.

Ein interdisziplinäres Symposion.

Perspektiven. Schriften zur Pluralität in der Medizin. Hrsg. von P. F. Matthiessen

Frankfurt: VAS-Verlag für akademische Schriften 2003

ISBN 3-88864-381-3, 73 Seiten, 12,- €


Rezension

Einleitend postuliert der Altmeister der psychosomatischen und integrierten Medizin Thure von Uexküll, dass die Frage nach der Stellung der Medizin zwischen exakter Naturwissenschaft und humaner Verpflichtung Leitfaden jeder Ausbildung zum Arzt sein muss. Die Anwendung von Naturwissenschaft und Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit in und außerhalb der Medizin ist ein Grundproblem, mit dem jeder Arzt konfrontiert ist. Uexküll konstatiert „frustrierende Orientierungslosigkeit" in den einschlägigen Debatten, z.B. der über die Gentechnologie.

Dem einen mag das vorliegende Büchlein als Einführung dienen, dem anderen werden bekannte Positionen, die seit über 100 Jahren diskutiert werden, erneut vor Augen geführt. Der Leser wird einbezogen in einen interdisziplinären Diskurs. Die Lebendigkeit des Austausches, die gemeinsame Konzentration auf jeweils einen Gegenstand nach Präsentationen knapper thesenartiger Einleitungen ist erfrischend und unterscheidet diesen Beitrag von nicht selten dogmatischen Monografien.

Der Psychiater G. Ulrich (Berlin) hat mit dem theoretischen Physiker, Astrophysiker, Mathematiker und Philosophen Hans-Jürgen Treder (Berlin) den Germanisten Friedrich Gaede (Freiburg/Halifax), den Psychiater Hans Heimann (Tübingen/Lausanne), den Psychosomatiker Sven-Olaf Hoffmann (Mainz) und den Pharmazeuten und Philosophen Georg Schönbächler (Zürich) unter der Schirmherrschaft von Thure von Uexküll (Freiburg) 2001 nach Berlin eingeladen. Jetzt erscheint ihr gemeinsames Gespräch.

Uexkülls Leitfiguren sind sein Vater Jakob, dem die Einsicht zu verdanken ist, dass Organismus und Umwelt zusammengehören, Gregory Bateson, der ontologisch-dualistische Konzepte „Symptome einer Krankheit der Erkenntnistheorie" nannte, Jean Piaget, der die „Konstruktion der Wirklichkeit" beim Kind nachwies und Charles Sanders Peirce, der die Zeichen-Natur der Bausteine beschrieben hat, aus denen die Wirklichkeiten lebender Systeme konstruiert werden.

Quintessenz der Diskussion ist Komplementarität. Das Verhältnis zwischen Natur und Geist, zwischen Soma und Pyche, Rationalität und Intuition, Ideographik und Nomothetik, Kausalitätswissenschaften und Indizienwissenschaften sind gleich einem Januskopf komplementäre Aspekte derselben Wirklichkeit. Studierende und Ärzte müssen sich nicht verlassen fühlen im Dschungel nur scheinbar widersprüchlicher Theorien. Die Entdeckung der Biographie als einer eigenständigen Disziplin oder John Hughlings Jacksons über 100 Jahre alte Forderung nach der „doppelten Buchführung" lässt den Arzt heute eine kritische Haltung einnehmen: Kritik am operationalen Klassifizieren, Kritik an der Entwicklungslinie Mechanik - Technik - Information, die vom Verständnis der Lebensprozesse weiter weg- als hinführt, Kritik an der patientenfernen „Transmitterpsychiatrie" oder dem Satz, „wer die Gene kennt, der kennt das Leben".

Die Medizin ist gegenwärtig durch unvermitteltes und willkürliches Nebeneinander unterschiedlicher Denkstile und Praxisansätze gekennzeichnet. Der hier dokumentierte Diskurs zeigt, wie und dass diesem Durcheinander beizukommen ist, wir müssen ihn nur wollen und in unseren Fakultäten, Instituten und Krankenhäusern üben und pflegen.