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Abschätzung der Patientenbereitschaft zur breiten Forschungseinwilligung in Hausarztpraxen im Projekt RADARplus
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Veröffentlicht: | 15. September 2023 |
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Einleitung: Umfragen zur Nutzung medizinischer Daten für die Forschung haben gezeigt, dass Patient:innen eine hohe Bereitschaft für die Nutzung dieser Daten in der Forschung angeben [1], [2]. Auch für die „breite Zustimmung“ ohne vorher bekannte Forschungszwecke bleibt diese Bereitschaft hoch (>90% in [2], >58% in [1]). Im Projekt RADARplus (Routine Anonymized Data for Advanced Healthcare Research) forschen wir u.a. an Methoden zur Gewinnung elektronisch dokumentierter Behandlungsdaten von Patient:innen aus Hausarztpraxen. Bei der ressourcenaufwändigen Patienteneinwilligung untersuchten wir, wie viele Patient:innen sich tatsächlich für die Freigabe ihrer medizinischen Behandlungsdaten für die Forschung gewinnen lassen. Dabei nutzten wir eine angepasste Mustereinwilligung mit „breiter Zustimmung (broad consent)“ der Medizininformatik-Initiative (Version 1.6d vom 16.04.2020 in [3]).
Methodik: Gestartet wurde mit der Direktansprache der Patient:innen durch 12 Hausärzt:innen (DdHÄ) im Zeitraum von 01/2021 bis 06/2022. Hausärzt:innen informierten ihre Patient:innen über das Projekt RADARplus, beantworteten Fragen und finalisierten gemeinsam mit den Patient:innen die Einwilligungen. In einer zweiten Phase von 08/2022 bis 04/2023 nutzten acht Hausärzt:innen die Methode „Brief von Haus:ärztinnen“ (BvHÄ) aus [4] und [5]. Pro Arztpraxis sollten je 200 BvHÄ an Patient:innen verteilt werden. Der BvHÄ enthielt ein neutrales Anschreiben der Hausarztpraxis, die Patienteninformation und die Einwilligungsunterlagen. Teilnahmebereite Patient:innen brachten die ausgefüllten Einwilligungen beim nächsten Arztbesuch zurück. Die Anzahl der rekrutierten Monate und der gewonnenen Patient:innen wurden für die Arztpraxen ermittelt. Die Patientenrekrutierung startete nach dem positiven Ethikvotum der Universitätsmedizin Göttingen (Nr. 23/2/18 vom 16.07.2020).
Ergebnisse: In der DdHÄ konnten in elf Monaten (Range: 2-16) jeweils 10,7 Patient:innen pro Arztpraxis (Range: 0-52) gewonnen werden (insgesamt 128 Patient:innen). Mit der Methode BvHÄ konnten in sechs Monaten (Range: 3-9) im Mittel 41 Patient:innen pro Arztpraxis (Range: 2-73) gewonnen werden (insgesamt 326 Patient:innen). Im Mittel wurden 117 BvHÄ an Patient:innen verteilt (Range: 0-200) und durchschnittlich wurden 40,5 Einwilligungen zurückgegeben (Range: 0-73). Der Anteil gewinnbarer Patient:innen für RADARplus liegt abgeschätzt bei 35,2% (Range: 21-54,9%).
Diskussion: Die tatsächliche Bereitschaft von Patient:innen aus Hausarztpraxen zur breiten Forschungseinwilligung konnte nur mit der Methode BvHÄ abgeschätzt werden und lag mit 35,2% unterhalb der Literaturangaben [1], [2]. Für die Methode DdHÄ fehlte zur Abschätzung der Patientenbereitschaft die Anzahl angesprochener Patient:innen. Aus dem systematischen Review von Ngune et al. [4] ist bekannt, dass Zeitungsartikel, Mailing und Anreize die Effizienz der Patientenrekrutierung steigern können. Zwei Studien konnten darin zeigen, dass Postwurfsendungen bessere Ergebnisse erzielen und eine Studie berichtete über eine 40%ige Steigerung, wenn Arztpraxen als Vermittler auftreten [4]. Unser Methodenwechsel von DdHÄ zu BvHÄ vereinfachte die Patientenrekrutierung, verlagerte aber auch zum Teil die Rekrutierungsaufgaben auf das Praxispersonal. Dies führte zu einer Steigerung der Patientenrekrutierung von durchschnittlich ca. 1 Patient für DhdHÄ pro Monat und Arztpraxis auf ca. 7 Patienten für BvHÄ pro Monat und Arztpraxis. Viele der teilnehmenden Hausärzt:innen waren von der Teilnahmebereitschaft ihrer Patient:innen überrascht. Die Ergebnisse für DdHÄ sind verzerrt, weil im Rekrutierungszeitraum von 01/2021 bis 06/2022 – nach Rückmeldungen der Hausärzt:innen – die Corona-Pandemie und die Impfkampagne in Hausarztpraxen kaum Ressourcen für Forschung ermöglichten. Die Ergebnisse von BvHÄ könnten tatsächlich noch höher ausfallen, wenn die Notwendigkeit zur Rückbringung der unterschriebenen Einwilligungen beim nächsten Arztbesuch entfällt (Verringerung des Vergessens, geringerer Patientenaufwand).
Schlussfolgerungen: Bei der Patientengewinnung in Hausarztpraxen für die Sekundärdatenforschung muss mit einer verringerten Erfolgsquote gerechnet werden, die von der eingesetzten Rekrutierungsmethode, der Arbeitsbelastung in den Hausarztpraxen und organisatorischen Faktoren des Rekrutierungsablaufes abhängig sind.
Danksagung: Das Projekt RADARplus bedankt sich bei allen teilnehmenden Hausarztpraxen für die Unterstützung dieses Projektes.
Förderung
Das Projekt RADARplus wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unter den Kennzeichen HU 1587/2-2, RI 1000/7-2, HO 1937/7-2, YA 191/8-2 und KR-1093/10-2 gefördert.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.
Literatur
- 1.
- Richter G, Borzikowsky C, Lesch W, et al. Secondary research use of personal medical data: attitudes from patient and population surveys in The Netherlands and Germany. Eur J Hum Genet. 2021;29:495–502. DOI: 10.1038/s41431-020-00735-3
- 2.
- Köngeter A, Schickhardt C, Jungkunz M, et al. Patients' Willingness to Provide Their Clinical Data for Research Purposes and Acceptance of Different Consent Models: Findings From a Representative Survey of Patients With Cancer. J Med Internet Res. 2022;24:e37665. DOI: 10.2196/37665
- 3.
- Medizininformatik-Initiative - Arbeitsgruppe Consent. Mustertext zur Patienteneinwilligung. Stand: 16.04.2020. Version 1.6d. Verfügbar unter: https://www.medizininformatik-initiative.de/de/mustertext-zur-patienteneinwilligung
- 4.
- Ngune I, Jiwa M, Dadich A, et al. Effective recruitment strategies in primary care research: a systematic review. Qual Prim Care. 2012;20:115–123.
- 5.
- Tan ACW, Clemson L, Mackenzie L, Sherrington C, Roberts C, Tiedemann A, Pond CD, White F, Simpson JM. Strategies for recruitment in general practice settings: the iSOLVE fall prevention pragmatic cluster randomised controlled trial. BMC Med Res Methodol. 2019 Dec 11;19(1):236. DOI: 10.1186/s12874-019-0869-7