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Informationsstatus gehörloser Personen in Deutschland zu ihrem gesetzlichen Dolmetscheranspruch und dessen Nutzung – Ergebnisse einer bundesweiten Querschnittsstudie mit Gebärdensprachvideos
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Veröffentlicht: | 20. September 2011 |
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Hintergrund: Gehörlose Menschen, die sich bevorzugt in Gebärdensprache verständigen, stoßen in der vorrangig von Hörenden gestalteten gesundheitlichen Versorgung auf Barrieren. Daher hat der Gesetzgeber für die geschätzt 80.000 Gehörlosen in Deutschland für die medizinische Versorgung die Finanzierung von Gebärdensprachdolmetschern zu Lasten der Krankenversicherungen vorgesehen [1]. Der Informationsstatus zu dieser rechtlichen Regelung und die Inanspruchnahme des Dolmetscherdienstes durch Gehhörlose wurden mittels einer Online-Befragung nun erstmalig untersucht.
Material und Methoden: Die speziell auf die Zielgruppe ausgerichtete Querschnittsstudie bedient sich neben der üblichen schriftlichen Form auch Gebärdensprachvideos und visuell ausgerichteten Antwortmöglichkeiten, um eine barrierefreie Teilnahme von Gehörlosen zu ermöglichen. Via Internet wurde der Fragebogen in Februar und März 2009 von 883 volljährigen Gehörlosen ausgefüllt, 42 Fälle wurden wegen fehlenden Angaben von der Analyse ausgeschlossen. Zur Identifizierung von Risikofaktoren für Unwissen über die gesetzliche Regelung der Dolmetscherfinanzierung in der medizinischen Versorgung wurde eine multivariate binär-logistische Regressionsanalyse durchgeführt. Dabei wurden die Variablen Alter, Geschlecht, Partnerschaft, höchster Schulabschluss, Wohnumfeld (Stadt/Land), Berufstätigkeit, Kompetenzen im Umgang mit geschriebener Sprache (Selbsteinschätzung) und bevorzugte Informationsquelle in medizinischen Fragen berücksichtigt.
Ergebnisse: In der Befragung gaben 31,4% (261, n=841) der Teilnehmer an, nicht über die Dolmetscherversorgung informiert zu sein. Einen Dolmetscher haben41,3% (347) beim Arztbesuch schon einmal in Anspruch genommen. Von diesen Personen berichten 85,9% (298, n = 347) einen problemlosen Ablauf der Kostenerstattung. Im multivariaten Modell (n=813) zeigt sich insbesondere für jüngere (Altersgruppe 18-30) gegenüber älteren Gehörlosen (ab 51 Jahre) ein höheres Risiko (aOR 3,1; 95%-KI 19-5,3) nicht über die Dolmetscherversorgung informiert zu sein. Auch Personen, die sich über nahe stehende Personen medizinische Informationen verschaffen, weisen ein höheres Risiko auf (aoR 2,5; 95%-KI 1,6-3,8) als Personen, die dafür das Internet nutzen. Gegenüber Hauptschulabsolventen haben Realschulabsolventen eine höhere Chance informiert zu sein (aOR 0,6; 95%-KI 0,4-0,8).
Diskussion/Schlussfolgerungen: Es ist anzunehmen, dass Gehörlose, die aufgrund von fehlendem Wissen über die Versorgung keinen Dolmetscher in Anspruch nehmen, in der medizinischen Versorgung benachteiligt sind. Weitere gezielte Aufklärung über Gehörlosenverbände und Sozialträger erscheint notwendig. Das Ziel muss dabei sein, gehörlosen Patienten Chancengleichheit bei der Inanspruchnahme von gesundheitsbezogenen Leistungen zu ermöglichen.