Artikel
Einsatz von reinen und unreinen Placebos in der allgemeinmedizinischen Praxis – Ergebnisse einer qualitativen Befragung
Suche in Medline nach
Autoren
Veröffentlicht: | 14. September 2011 |
---|
Gliederung
Text
Hintergrund: Eine von unserer Arbeitsgruppe kürzlich durchgeführte Fragebogenuntersuchung ergab, dass viele Hausärzte ab und zu reine Placebos (z.B. Zuckertabletten, Kochsalzinjektionen) und häufiger unreine Placebos (Therapien, bei denen eine intrinsische Wirkung auf die behandelte Erkrankung unwahrscheinlich ist) einsetzen. Um die komplexen Gründe für die Verwendung von Placebos in der allgemeinmedizinischen Praxis besser zu verstehen, führten wir nun auch eine qualitative Befragung durch.
Material und Methoden: Zehn niedergelassene Hausärzte in Bayern (4 Männer, 6 Frauen) wurden mit strukturierten Leitfadeninterviews zum Einsatz von Placebos in der Praxis befragt. Alle Interviews wurden aufgezeichnet und transkribiert. Die Auswertung erfolgte mit Methoden der Inhaltsanalyse. Jede Aussage wurde von mindestens 2 Autoren kodiert.
Ergebnisse: Unter den Befragten waren 5 Anwender reiner Placebos und 6 Anwender unreiner Placebos. Als Formen unreiner Placebos wurden vor allem Phytotherapeutika, Homöopathika und Akupunktur, aber auch Klangschalen und Handauflegen genannt. Der häufigste Grund für die Gabe von Placebos war der ausdrückliche Wunsch des Patienten nach Therapie, auch wenn im konkreten Fall keine spezifische Therapie zur Verfügung stand. Bei unreinen Placebos spielte häufig auch die Hoffnung auf eine ungezielte, wissenschaftlich aber nicht belegte Wirkung der Therapie eine Rolle. Andere Ärzte lehnten unreine Placebos ab, weil sie nur Therapien einsetzen wollten, von denen sie überzeugt seien. Der häufigste Grund gegen den Einsatz reiner Placebos war die Täuschung des Patienten. Anwender von reinen Placebos führten vor allem das Argument des Nicht-Schadens an, zusammen mit dem potentiellen Nutzen und den niedrigen Kosten für das Gesundheitssystem. Eine Wirksamkeit von Placebos wurde in erster Linie für psychosomatische Beschwerden postuliert, und fast jeder Befragte konnte ein konkretes Beispiel für einen Placeboeffekt anführen. Für einige Ärzte waren Gespräch und Zuwendung ebenso wichtig wie das Placebo, welches dann als zusätzliche Form der Zuwendung beschrieben wurde, auf die der Patient im Alltag problemlos zurückgreifen könne.
Schlussfolgerung/Implikation: Die Meinungen der befragten Hausärzte bezüglich reiner und unreiner Placebos gingen stark auseinander. Für den Umgang mit reinen Placebos spielte vor allem die persönliche Einstellung des Arztes zur Täuschung des Patienten eine Rolle, während der Einsatz von unreinen Placebos eher an die Einstellung geknüpft war, ob ein Arzt auch Therapien ausprobieren wollte, deren Nutzen nicht wissenschaftlich erwiesen ist. Der individuelle Umgang mit Placebos hing also eng mit dem beruflichen Selbstverständnis der befragten Ärzte zusammen. An der Wirksamkeit von Placebos zweifelte hingegen kaum ein Arzt.