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Eine rheumatologisch selten erkannte, aber überraschend häufige Multisystemerkrankung
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Veröffentlicht: | 1. September 2015 |
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Vorgeschichte: 51-jährige Frau über Rheumatologin eingewiesen. 2010 Erstdiagnose Periphere Spondylarthritis (HLA B27 neg.) bei klinisch Daktylitis, Achillodynie, rez. Lumbalgien und V.a. Psoriasis palmoplantaris. Schmerzen dabei deutlich Steroid-sensibel, dabei aber mehrjährig hoher Steroidbedarf mit eindeutiger Schwellendosis von 17 mg trotz MTX und TNF-Blocker-Komedikation. Sämtliche Labordiagnostik blieb über die Jahre nicht zielführend.
Leitsymptome bei Krankheitsmanifestation: Symmetrische Arthralgien um OSG bds. und Myalgien der prox. Extremitätenmuskulatur. Multiple additive Beschwerden: Sicca-Symptomatik mit chron. Konjunktivitis und häufigen enoralen Aphthen, unklare polymorphe Exantheme und chronische Urtikaria, Rhagaden der Fingerkuppen, verstärkte Blutungsneigung einschl. Hyposphagma, seit 6 Jahren chronische Diarrhoe v.a. morgens mit brennenden abdominellen Schmerzen, chron. anogenitaler Juckreiz, interm. starke Cephalgien, Wortfindungsstörungen, deutlicher Leistungsknick mit Tagesmüdigket und Schlafstörungen, Palpitationen und rez. hypertensive Blutdruckentgleisungen, interm. Kribbelparästhesien der Akren, mehrere Medikamentenallergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten u.a. auch Lactoseintoleranz.
Diagnostik: Auswärts bereits ohne path. Ergebnis: Multiple gastroenterologische Abklärungen einschl. ÖGD, Ileokoloskopie, MR-Sellink, Funktionsdiagnostik. Außerdem ambulante und stationäre rheumatologische Diagnostik, Universitäts-Haut- und Augenklinik, amb. HNO-ärztliche und neurologische Vorstelung (dabei Verdachtsdiagnosen u.a.: Psoriasisarthritis in Remission, Fibromyalgiesyndrom mit Reizdarmsyndrom, V.a. CED, Konjunktivitis sicca, pleomorphe Lichtdermatose, thylotisch-rhagadiformes Handekzem, chronische Urtikaria, Migräne, V.a. Small-Fiber-Neuropathie).
Aufgrund der Symptomkonstellation dringender V.a. systemisches Mastzellaktivitätssyndrom. Daraufhin Bonner Fragebogen (35 Punkte, pathologisch ab 15 P.), stationär drastische Steroidreduktion auf 5 mg, dann Re-ÖGD und -Ileokoloskopie, in Stufenbiopsien CD117/Tryptase-Färbungen. Wiederholt Tryptase im Serum und N-Methylhistamin im 24h-Sammelurin. Bestätigung der Diagnose über Colonhistologie nach den geltenden Kriterien von Valent et al. 2012. Knochenmarkshistologie einschl. cKIT D816V unauffällig. Mastzellspezifische Gerinnungsdiagnostik blieb ohne wesentlich pathologischen Befund. Außerdem u.a. durchgeführt: Schirmer-Test, Arthro-, Abdomen- und Speicheldrüsensonografie, MRT WS/ISG.
Diagnose: Idiopathisches Mastzellaktivitätssyndrom.
Therapie: Initial stationär Lorazepam 0,5 mg alle 30 min insgesamt 3x0,5 mg. Daraufhin sofortige Besserung aller o.g. dermaler, neuropsychiatrischer und v.a. auch vegetativer Symptome mit erstmals mehrtägig normalem Stuhlgang nach 6 Jahren Diarrhoe. Lorazepam blockiert irreversibel aktivierte Mastzellen.
Ausführliche Beratung zur Ernährung bei Histaminintoleranz. Anschließend stufenweise Etablierung H1-/H2-Blockade, Mastzellstabilisierung mit retardiertem Vitamin C und Cromoglycinsäure. TNF-Blocker und MTX wurden abgesetzt, dafür im weiteren Verlauf Azathioprin; dann Beginn Steroide weiter auszuschleichen. Lorazepam nur bei Bedarf während Exazerbationen.
Weiterer Verlauf: Unter der o.g. mastzellgerichteten Therapie und diätetischen Vorgaben langsam zunehmende Stabilisierung der Symptome über mehrere Monate mit zuletzt erheblich verbesserter Lebensqualität und rückläufigem Cushing-Syndrom.